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Initiatoren und Referent des 3. Heinsberger Landwirtschaftsabends (v.l.n.r.): RLV-Präsident Bernhard Conzen, Dr. Benjamin Schutte sowie Sparkassenvorstand Thomas Giessing. Foto: Detlef Steinert

Neu ist vor allem das Tempo

Digitalisierung stand im Mittelpunkt des Landwirtschaftsabends von Kreisbauernschaft und Kreissparkasse Heinsberg in Erkelenz.

Helmut Claas machte das Unternehmen aus Harsewinkel mit einem Jahresumsatz von heute 4 Mrd. € zu einem der fünf größten Landtechnikunternehmen der Welt. Über den Weg dorthin kursiert ein Spruch von ihm: „Wir haben kein Geheimnis, wir haben einfach gute Ideen.“ Den stellte Dr. Benjamin Schutte, Geschäftsführer Vertrieb und Sprecher der deutschen Claas-Vertriebsgesellschaft, an den Anfang seines Referates beim 3. Landwirtschaftsabend, der am vergangenen Donnerstag in Erkelenz stattfand und den Kreisbauernverband Heinsberg und die örtliche Kreissparkasse gemeinsam ausrichteten.

Seit Jahrzehnten Thema

Sicher hoffte mancher der über 100 Gäste, mehr über die neuesten guten Ideen von Claas zu erfahren. Was Schutte unter dem Titel „Digital 4.0 – Herausforderung oder Chance für die Landwirtschaft“ dann referierte, lüftete aber keine Geheimnisse aus der westfälischen Technikschmiede. Jedoch beleuchtete er aus den verschiedenen Perspektiven, was schon RLV-Präsident Bernhard Conzen und Sparkassenvorstand Thomas Giessing eingangs betont hatten: dass die Landwirtschaft eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung einnimmt. Für Überraschung sorgte, dass digitale Anwendungen keine Erfindungen der jüngsten Vergangenheit sind. Belegen konnte Schutte dies mit einer Anzeige von Claas aus dem Jahr 1971, mit welcher für computerbasierte Betriebsplanung geworben wurde.

Ging damals die weitere Entwicklung noch sehr langsam vonstatten, wurde das Tempo immer rasanter. Schutte zeigte das anschaulich an einer immer steiler ansteigenden Kurve an technischen Innovationen wie Vorgewendemanagement, Melkroboter oder Sensoren. Beispielhaft belegte er die Entwicklung auch an alltäglichen Dingen. Konnte man vor zehn Jahren mit Mobiltelefonen gerade mal komfortabel fast überall telefonieren, bieten intelligente (smart) Mobiltelefone (phone) heute viele weitere Funktionen. „Und die Entwicklung ist noch nicht am Ende“, pro­gnostizierte Schutte. Diese Dynamik macht auch vor der Landtechnik nicht Halt: „Wir planen heute in sechsjährigen Entwicklungszyklen, wobei wir gar nicht wissen, was in drei bis vier Jahren kommt.“ Ohne dass er es ausgesprochen hat, lässt sich daraus ableiten: die einzige Konstante ist, dass es fortlaufend Veränderungen geben wird.

Insel der Glückseligen

Und die können durchaus überraschend sein, weil sich – wie Schutte ausführte – heute auch Unternehmen aus ganz anderen Wirtschaftszweigen mit Lösungen für die Landwirtschaft befassen. So warnte er gerade vor Ambitionen, die große, in der digitalen Welt erfahrene Unternehmen wie etwa Google haben könnten. Dort befasse man sich nicht nur mit Suchmaschinen, sondern entwickle zum Beispiel auch intelligente Steuerungen von Haustechnik und Gebäudeheizungen. Die Intention dahinter sieht Schutte darin, darüber Informationen über die Bewohner zu sammeln. Angesprochen da­rauf, wie es Claas mit dem Datenschutz halte, erwiderte Schutte, dass man als Familienunternehmen größten Wert auf den verantwortlichen Umgang mit den Kundendaten legen würde. Das sei auch der Grund, wenn Claas teils mehrfach sich per Unterschrift die Zusicherung einhole, bestimmte Auswertungen durchführen zu dürfen. Schutte gab sich überzeugt, dass die Kunden hierzulande in puncto Datenschutz auf der „Insel der Glückseligen“ leben würden. Zweifel ließ er allerdings durchblicken, ob der Digitalkonzerne es mit dem Datenschutz immer so genau halten würden.

Chancen und Perspektiven

Alles in allem zeigten Schuttes Ausführungen, wie vielfältig die Facetten der Digitalisierung in der Landwirtschaft sein können. Da brächten Unternehmen aus ganz anderen Branchen völlig unerwartete Ansätze auf (Disruption) oder es fänden sich digitale Wege für Probleme, die jahrelang herkömmlich gelöst wurden (digitale Transformation). Oder es eröffneten sich ungeahnte Perspektiven für Sachverhalte, mit denen man sich schon fast abgefunden hat. Entsprechend positiv fiel Schuttes generelle Abwägung der Chancen und Risiken aus. So sieht er in vier zentralen Handlungsfeldern viele Vorteile für die Landwirtschaft. Treffenderweise bezeichnete Schutte die als „Pain Points“ (übersetzt: Schmerzpunkte). Mit dem Begriff bezeichnen Marketingfachleute solche Facetten, die quasi als Berührungsflächen im Kontakt zwischen Unternehmen und ihren Kunden eine besonders wichtige Rolle spielen.

Dokumentation, Umweltauflagen und Bürokratie: Was viele Landwirte heute als lästige Pflicht empfinden, sieht Schutte auch als Chance. Denn Dokumentationen und Aufzeichnungen können wesentlich zu mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit beitragen. Aufgabe von Unternehmen wie Claas sei es dabei, den Landwirten Arbeit abzunehmen. Schutte wörtlich: „Es muss möglich sein, dem Landwirt das automatisch abzunehmen.“

Öffentlichkeitsarbeit und Ansehen: Zur größeren Transparenz tragen Schutte zufolge auch Medienkanäle wie Facebook und Youtube bei, welche die Digitalisierung erst möglich gemacht hat und auf denen viele Landwirte heute über ihre Arbeit informieren. Besonders unterstrich er dabei, dass diese Kanäle es erlauben, mit guten Ideen und wenig Budget viel zu erreichen. Und es ergeben sich neue Möglichkeiten der Vermarktung. So verwies er auf Unternehmensgründungen (Start-ups), deren Geschäftsmodell darin bestehe zu verdeutlichen, wie die Tiere, deren Fleisch sie konsumieren, einmal gehalten wurden. Digitale Techniken zur Nachverfolgung des Wegs vom Kunden bis zum Erzeuger könnten, so ließ Schutte auf einen Einwand aus dem Publikum durchblicken, auch die Rolle und die Bedeutung des Handels verändern. Der profitiere bislang von einer Informations­asymmetrie, also einem Ungleichgewicht bei der Verfügbarkeit von Informationen. Ein Wesen der Digitalisierung liegt aber genau darin, Informationen immer leichter und immer mehr individuellen Bedürfnissen entsprechend verfügbar zu machen.

Einkommen und Kapitaleinsatz: Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sind so kapitalintensiv wie in kaum einer anderen Branche. Das unterstrich auch Präsident Conzens Anmerkung, wonach die Kapitalbindung bei der Anschaffung neuer Maschinen für die Landwirte immer größer werde. Schutte zufolge arbeite Claas an neuen Modellen, wie Landwirte neue Maschinen nutzen könnten, und verwies dabei auf eine Zusammenarbeit mit dem Autoverleiher Sixt. Bezüglich Wirtschaftlichkeit verwies er nicht nur auf die Möglichkeiten, über die Digitalisierung Betriebsmittel und damit Kosten zu sparen. Er lenkte den Blick auch da­rauf, dass angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und rückläufiger produktiver Landfläche fachfremde Investoren Potenzial in der Landwirtschaft sehen. So würden aktuell rund 67 % aller Finanzmittel, die Investoren weltweit in Start-up-Unternehmen stecken, in digitale Lösungen rund um die Landwirtschaft gehen.

Globale Wettbewerbsfähigkeit: Trotz Entwicklungen zu großen und noch größeren Betriebseinheiten in anderen Regionen, sieht Schutte die hiesige Landwirtschaft im weltweiten Kontext nicht als abgehängt an. Im Gegenteil bezweifelt er, dass Verbraucher hierzulande Dimensionen mit Milchviehbetrieben von 50 000 Kühen und 40  000 ha in einem Betrieb, wie er sie aus China kennt, für gutheißen. Stattdessen betonte er noch einmal die Chancen der regionalen Wertschöpfung, die durch transparente Prozesse begleitet wird, wie sie die Digitalisierung ermöglicht. Auch trage die Steigerung der Effizienz zu besserer Wettbewerbsfähigkeit bei.

Um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können, gelte es laut Schutte, offen für neue Themen zu sein. Wichtig sei dabei, dass Landwirte sich als gute Unternehmer beweisen, die auf eigener Scholle mit guter fachlicher Praxis gute Arbeit leisteten.

 

Video online

Premiere hatte bei dem Landwirtschaftsabend auch ein Image-Video. Der Film setzt das verantwortungsbewusste Vorgehen der Heinsberger Landwirte im Stall und auf dem Feld in Szene und unterstreicht die Vielfalt ihrer Produkte sowie die Vorzüge der regionalen Erzeugung von Lebensmitteln. Passend zum Thema des Abends drückte Bernhard Conzen seine Hoffnung aus,  dass der Clip digital seinen Weg in die Städte findet, um so die Verbraucher zu erreichen, die nur noch wenig Berührungspunkte zur Landwirtschaft haben. „Die müssen wir überzeugen, dass wir einen guten Job machen“, sagte Conzen. Das Video ist über den Youtube-Kanal des RLV abrufbar (youtube) und darf gerne gelikt und verlinkt werden.